Ausgemusterte Schulhefte, die Zeitung von gestern, der leere Schuhkarton. Papier, Pappe und Kartons gehören in Deutschland in die Blaue Tonne oder den Altpapiercontainer.
Bei einer jetzt neu veröffentlichten Restmüllanalyse (28.7.2020) zeigen Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt auf, dass Deutschland zwar nur noch halb soviel Restmüll produziert wie vor 35 Jahren, doch viele Wertstoffe landen in Tonnen, in die sie nicht gehören.
5,2 Prozent des Altpapiers wurden in Restmüllbehältern gefunden. Umgekehrt finden die Entsorger sogenannte Störstoffe im Altpapier: "Pizza-Kartons mit Essenresten, mit Leim behaftete Tapeten, benutzte Papiertaschentücher oder Coffee to go-Becher mit Kunststoffbeschichtung landen fälschlicherweise auch in den Altpapier-Sammlungen", beklagt Michael Schneider vom Altpapier-Verwerter Remondis, "obwohl die kontaminierten Papiere als Restmüll, Bauschutt oder im Gelben Sack entsorgt werden müssten."
Schneider appelliert an die Verbraucher, die Papierabfälle möglichst sorgfältig zu trennen: "Hier kann jeder seinen Beitrag leisten, denn eine möglichst geringe Fremdstoffquote wie es auch Büroklammern, Briefmarken, CDs darstellen, reduziert die Müllkosten."
Thomas Braun, Geschäftsführer beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, ergänzt: "Besonders zerstörerisch wirken Glassplitter, Öl, Joghurt oder Waschmittel, denn diese verunreinigenden Störstoffe lassen sich vom Altpapier nicht trennen."
Verunreinigungen waren auch ein Grund für die Volksrepublik China, die Altpapiereinfuhr massiv einzuschränken. Das chinesische Ministerium für Ökologie und Umwelt hat nun angekündigt, für 2021 keinerlei Anträge auf Altpapierimporte anzunehmen.
Mit einer Schrift versehen, die nach einiger Zeit und bei Lichteinstrahlung verblasst: Thermopapier, ohne Farbe gedruckt
Kontaminiertes Altpapier kann nicht recycelt werden
Ein weiteres Ärgernis sind Einkaufsbons aus beschichtetem Thermopapier. Diese werden nicht mit Farbe, sondern mit Hitze chemisch behandelt, um Buchstaben und Zahlen sichtbar zu machen. Die Beschichtung besteht auch aus der umstrittenen Verbindung Bisphenol A.
Laut dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) und dem Bundesumweltamt kann die Chemikalie den menschlichen Hormonhaushalt nachhaltig beeinflussen und die Fruchtbarkeit von Mann und Frau beeinträchtigen. Umweltorganisationen wie der BUND fordern daher seit Jahren ein Verbot der Substanz auf Thermopapier.
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung hält Kassenbons wegen der chemischen Zusammensetzung und der Produktion aus Frischfaserpapier für problematisch und beruft sich auf die Vorgabe der Europäischen Chemikalienagentur, die Verwendung von Bisphenol A in Thermopapier auf 0,02 Prozent zu beschränken. Und so forderte das Europaparlament von der EU-Kommission ein komplettes Verbot der giftigen Chemikalie.
Auf jeden Fall gehören diese Kassenbons, obwohl aus Papier hergestellt, nicht in die Papiertonne. Sie sollten im Restmüll entsorgt werden.
Remondis-Sprecher Michael Schneider sagt, die Anteile der Zettel im Müll seien im ersten Halbjahr entgegen aller Erwartungen marginal gewesen, obwohl seit dem ersten Januar 2020 jeder Beleg ausgedruckt und theoretisch dem Kunden übergeben werden muss. Inwieweit das geänderte Kaufverhalten wegen der COVID-19-Pandemie dazu beigetragen hat, können die Entsorger noch nicht sagen.
Mehr zum Thema: Müllboom: Und wieder ist die Altpapier-Tonne voll
Verschleiß beim Papierrecycling
Doch auch sauber getrenntes Altpapier kann nicht in einem ewigen Kreislauf fortbestehen. Nach spätestens sieben Kreisläufen sei Schluss, sagt Holger Autenrieb von der Niederauer Mühle. Sein Unternehmen hat sich auf das Recycling von Getränkekartons für Milch, Säfte und Soßen spezialisiert. In nur zweieinhalb Stunden werden die Verpackungen geschreddert und die Inhaltsstoffe Pappe, Polyethylenfolie und Aluminium getrennt.
Die Pappe bildet das Grundmaterial für neue Verpackungen wie Schuh- oder Pizzakartons. Diese bestehen zu 100 Prozent aus Altpapier. Kunststoff und Aluminium wandern zur Weiterverwertung in Zementfabriken.
Grafische Papiere wie Zeitungen, Schreibwaren, Zeitschriften, Kataloge, Bücher, Grußkarten und Geschenkpapier, dazu Pappe und Kartonagen haben unterschiedliche Qualitäten. 67 Altpapiersorten müssen die Händler zur Weitererarbeitung trennen.
In der Europäischen Union wird fleißig Altpapier gesammelt und wiederaufbereitet. Nach Angaben des Europäischen Rates für Papierrecycling (EPRC) wurden 2018 knapp 72 Prozent der 56 Millionen Tonnen Altpapier recycelt, das in Handel, Industrie, Haushalten und Büros anfiel, wobei Länder wie Bulgarien, Polen und Rumänien durch unterdurchschnittliche Papierrecyclingquoten auffielen.
Immer mehr Waren werden per Paket verschickt. Hier ist es Bekleidung für Flüchtlinge in Lagern auf griechischen Inseln
Umweltschädlicher Online-Handel
Zeitungen und Zeitschriften werden mit hochwertigen langen Zellstofffasern produziert. Mit jedem Recyclingvorgang werden diese Fasern kürzer, rissig, instabiler. Aufgrund des verstärkten Internethandels, des allgemeinen Verpackungswahns und des Konsums digitaler Nachrichten gelangt immer mehr minderwertiges Altpapier auf den Markt.
In Deutschland waren 2019 weniger grafische Papiere und Zeitungen (-8,3 Prozent) nachgefragt. Für Verpackungspapiere hingegen vermeldet der Verband Deutscher Papierfabriken für das Vorjahr ein Plus von 0,7 Prozent. Weniger grafisches Papier und ein Überschuss an Verpackungen reduziert die Qualität des Altpapiers. Dem muss die papierverarbeitende Industrie immer auch mit Zellstoff aus Frischholz entgegenwirken.
Eine Zukunftsaufgabe: den Papierkreislauf schließen, sodass gar kein Frischholz mehr geschlagen werden müsste
Der Rohstoff für Frischfaserpapier wird oft aus Zellstoff gewonnen, der aus Eukalyptus-Monoplantagen stammt. Auf den Flächen wuchsen einst zahlreiche Baumarten, die den Regenwald ausmachten.
Andere Hölzer stammen aus nördlichen Wäldern in den USA, Russland, Kanada, Schweden und Finnland.
"Vor zehn Jahren wurde jeder zweite industriell gefällte Baum zu Papier verarbeitet. Heute landet immer noch jeder fünfte geschlagene Baum in der Produktion von Zellstoff für Papier", beklagt Birthe Hesebeck von der Tropenwaldstiftung Oro Verde. Das sei zuviel in Zeiten, in denen das digitale Büro propagiert wird.
Ressourcenverschwendung
Das Umweltbundesamt rechnet vor, dass es zur Produktion von einem Kilogramm Recyclingpapier fünf Liter Wasser und zwei Kilowattstunden Strom braucht. Für die gleiche Menge Frischfaserpapier werden 50 Liter Wasser und fünf Kilowattstunden Strom benötigt.
Noch besser wäre daher ein sparsamer Umgang mit Papier und Verpackungen und die komplette Umstellung von Büro- und Schulpapierbedarf aus Produkten mit dem Siegel Blauer Engel, rät Axel Fischer von der Interessenvertretung der europäischen Industrieunternehmen, die sich mit Druckfarbenentfernung beschäftigen (INGEDE) .
Aktuell beträgt der Marktanteil an Büropapier in Deutschland, das ausschließlich aus Altpapier produziert wird, nur 16 Prozent. In Behörden und in der freien Wirtschaft gibt es noch riesiges Potential, bestätigt auch Lea Eggers von der Initiative Pro Recyclingpapier : "Würde in allen Büros 100 Prozent Altpapier verwendet, könnten mit der eingesparten Energie alle Haushalte einer Großstadt wie Berlin ein Jahr lang mit Strom versorgt werden."
Lesen Sie auch: Die Gier nach Papier und ihre Folgen
July 28, 2020 at 09:27PM
https://ift.tt/30VIUc1
Mülltrennung und Recycling: Wie Abfall in der Altpapier-Tonne schadet - DW (Deutsch)
https://ift.tt/31FhsRU
Abfall
No comments:
Post a Comment